Der Auftakt der „Frankfurter Friedensgespräche“ mit Prof. Ulrike Guérot setzte ein starkes, inhaltliches Zeichen für die kommenden Veranstaltungen. Ulrike Guérot beeindruckte das Publikum mit einer deutlichen Analyse der gegenwärtigen politischen Lage in Europa. Sie betonte die Notwendigkeit offener Debatten und zeichnete ein klares Bild der strukturellen Defizite Europas. Ihre Vorstellung einer „Post-X+1-Zeit“ preist ein, dass verschiedene Systeme, darunter die EU, in ihren bisherigen Strukturen brüchig geworden sind und neues Denken für eine zukünftige Verbindung von Demokratie und Europa notwendig ist. Sie bietet viel Stoff für weiterführende Diskussionen.

Gründerin des European Democracy Lab in Berlin, ehemalige Professorin für Europapolitik an der Donau-Universität Krems und der Universität Bonn, Autorin mehrerer Bücher, darunter „Warum Europa eine Republik werden muss!“. Sie publiziert umfangreich in deutschen und europäischen Zeitschriften und Zeitungen. Sie wird regelmäßig eingeladen, in europäischen Medien und Begegnungen ihre visionären Ideen zur Zukunft Europas und ihre Konzepte zur Weiterentwicklung der europäischen Integration zu präsentieren.
Nachbetrachtungen zur Veranstaltung mit Prof. Ulrike Guérot
Die erste Veranstaltung unserer Reihe „Frankfurter Friedensgespräche“ mit Prof. Ulrike Guérot als Referentin markiert einen gelungenen Auftakt für diese Gesprächsreihe. Damit haben wir den Grundstein für eine Plattform gelegt, die viel Raum für tiefgehende Diskussionen und wegweisende Ideen bietet. Eine Reihe weiterer inspirierender und richtungsweisender Gespräche wird folgen. Wir wünschen uns, dass sich die „Frankfurter Friedensgespräche“ zu einem starken Multiplikator für die Meinungsbildung und für das Finden friedlicher Perspektiven entwickeln.
Vorstellung der Veranstalter
Pascal Lauria, einer der Initiatoren der „Frankfurter Friedensgespräche“, fasste einleitend die Geschichte der Entstehung der Gesprächsreihe zusammen und skizzierte die wichtigsten Ziele des Projektes. Uli Riedel, Koordinator des NDS-Gesprächskreises Frankfurt, präsentierte die vielfältigen Aktivitäten und Schwerpunkte der Gruppe. Klaus Hartmann, Stellvertretender Bundesvorsitzender des Deutschen Freidenker-Verbandes, beleuchtete in einer eindrucksvollen Rede die historischen Hintergründe dieser herrschaftskritischen Organisation und lieferte eine bemerkenswerte Kurzanalyse der aktuell zu beobachtenden Umdeutungen der Begriffe „Faschismus“ und „Rechts“.
Die Rede von Prof. Ulrike Guérot: Analyse und Vision
Ulrike Guérot gliederte ihren Vortrag in zwei zentrale Abschnitte. Im ersten Teil analysierte sie die aktuellen politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse. Anschließend entwarf sie eine visionäre Perspektive einer „Post-X+1-Zeit“. Dabei steht „X“ für eine mögliche, auch institutionelle Zäsur bestehender Governance-Systeme, etwa der EU, und „1“ für einen Neuanfang, den es zu denken und gestalten gibt. Denn dass Europa, um nicht zu sagen die Welt, sich in einer Transition befindet, kann kaum jemand beschreiben. Populismus, nationale Regression, NATOisierung Europas, postatlantisches Europa oder multipolare Welt sind dafür die Stichworte. Guérot betonte mehrfach, dass sie keinen eindeutigen Lösungsansatz präsentieren werde, sondern Denkanstöße geben wolle.
Die zentrale Themen
- Die fehlende Beteiligung der jungen Generation: Durchaus leicht ironisch kommentierte Guérot die Anwesenheit des überwiegend älteren Publikums im Saal. Sie führte aus, dass die jüngeren Generationen, die anfänglichen positiven, politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen Europas nicht bewusst miterlebt hätten. Vielmehr seien sie seit den 2000er Jahren mit einer konstanten Krisenerzählung über Europa groß geworden. Dies könne laut Guérot gut das mangelnde politische Engagement oder Intersse der Jungen an Europa erklären.
- Das Fehlen einer offenen Debattenkultur: Guérot kritisierte pointiert das zunehmende Verschwinden offener und kontrovers geführter Diskussionen im öffentlichen Raum. Abweichende Meinungen würden oft bewusst ausgegrenzt, so dass sich der Diskurs über Politik und Gesellschaft immer mehr verenge. Kritik an den Strukturen der EU würde oft schon als „Populismus“ bewertet, eine institutionelle Reformdebatte findet nicht mehr statt.
- Qualitätsverlust der Mainstreammedien: Sie thematisierte auch die mangelnde Ausgewogenheit und den Qualitätsverlust in der Berichterstattung der Mainstreammedien, was ihrer Meinung nach zu einer einseitigen Meinungsbildung beitrage. Mit Blick auf Europa sei insbesondere das Fehlen guter Auslandskorrespondenten bzw. ein im Vergleich zu früher deutlich eingeschränktes Netz in den deutschen Leitmedien auffällig. So ist z.B. eine innenpolitische Berichterstattung über andere europäische Länder rar geworden, was oftmals zu Fehleinschätzungen – oder auch Desinteresse – führt.
- Strukturelle Defizite in Europa: Im weiteren kritisierte Guérot, dass es dem europäischen Projekt bisher nicht gelungen sei, auf einer strukturellen Ebene den allgemeinen politischen Gleichheitsgrundsatz zu verwirklichen. Im Gegensatz zur Rechtsgleichheit für Güter und Geld durch den Binnenmarkt und den Euro, bestünde bei politischen, bürgerlichen und sozialen Rechten in Bereichen wie der Renten- und Arbeitslosenunterstützung nach wie vor große Unterschiede zwischen den Bürgern der einzelnen europäischen Länder, was die Entwicklung einer gemeinsamen europäischen Identität erschwerte und die letztlich soziale Spannungen zwischen EU-Mitgliedstaaten förderte.
- Friedliche Entwicklung und Konfliktlösung in Europa: Guérot betonte, dass Europa nur aus einem gemeinsamen kulturellen Verständnis heraus Wege einer friedvollen Kooperation erschaffen kann. Nur so könne eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Regionen Europas entstehen, deren jeweilige nationale Klammer in den Governance Strukturen der EU eher ein Problem darstellt, den Weg zu einer gemeinsamen europäischen Bürgerschaft verstellt und die Souveränitätsfrage ungelöst läßt.
Eine mögliche Vision für Europa
Ulrike Guérot sprach leidenschaftlich über die Idee einer Europäischen Republik. Sie betonte, dass das Republikprinzip normativ der übergeordnete Begriff gegenüber der Demokratie sei, die eher an formalen Kriterien festgemacht werde. Der Ursprung des Begriffs, res publica, die öffentliche Angelegenheit, verweist ihrer Ansicht nach auf das Potential des Begriffs der Republik, essentiell definiert durch Rechtsgleichheit, für eine wirkliche Vereinigung eines Europas der Bürger in Einheit durch Vielfalt: Einigkeit und Recht und Freiheit müsse für europäische Bürger gelten, die unabhängig von unterschiedlichen Kulturen, Sprachen und Herkünften eine Rechteinheit und damit eine Republik begründen könnten. So könne eine „Europäische Republik“ entstehen, in der die europäischen Regionen sozial und wirtschaftlich eng miteinander verbunden seien, die Souveränität aber bei rechtsgleichen europäischen Bürgern liege, die ein Parlament auf der Grundlage von Wahlrechtsgleichheit begründen müssten, die es in der EU nicht gäbe.Videos der Veranstaltung: YouTube-Kanal-Link