Plädoyer für Podien jenseits der Kontakt­schuld-Gräben

  Unser Gastautor Jan Veil ist Künstler, Linker und Autor

 

KlardenkenTV – Podiumsdiskussion zum Thema:
Demokratischer Umgang mit Andersdenkenden,

Ausgrenzung – Nein Danke!

Teilnehmer: Anselm Lenz | Tobias Pfennig | Marcus Fuchs | Jan Veil | Stefan Schmidt | Hendrik Sodenkamp
Moderation: Daniel Langhans | Durlangen | 22.06.24 |
[VÖ am 04.07.24] youtube.com Länge: 2:32:59
oder (in Anbetracht der ‚Community-Richtlinien‘ von YouTube) auch unter: odysee.com

Ein Artikel von Jan Veil, der das Podium redaktionell einbettet:

Bereits am 22.6.24 fand in Baden-Württemberg eine von QD 7171 (Schwäbisch Gmünd) organisierte Podiumsdiskussion mit ’nach rechts offenen Linken‘ und – ganz offensichtlich – ’nach  links offenen Rechten‘ statt, und das, obwohl man sich von offizieller Seite seit vielen Jahren doch so  viel Mühe gegeben hat, derlei anrüchige Veranstaltungen möglichst vollständig zu unterbinden. In diesem Zusammenhang sei an ein doch eher versöhnliches, allgemein zu interpretierendes Statement erinnert: „Ich muss geradezu nach rechts offen sein … weil: linker als ich — geht nicht.“  [Zwinker-Smiley]

Dieses Podium hat(te) – neben einem in einer derartigen Konstellation eher selten zustande  kommenden, m.E. letztlich aber notwendigen Meinungsaustausch – auch den Zweck, ein Beispiel für  die schrittweise Überwindung oft obrigkeitsstaatlich verordneter sowie obrigkeitshörig befolgter  Kontaktschuld-Direktiven zu geben. In diesem Fall ging es offensichtlich um eines der hierzulande populärsten, urdemokratischen Prinzipien, dem man gut und gerne das Ikon eines satt in der Hand  liegenden Baseballschlägers (selbstredend in rein symbolischer (?) Form) zuordnen könnte, der die überdeutlich lesbare Aufschrift trägt: ‚Bedenkenlos zu verwenden bei Nazis, Rechtsradikalen,  Rechten, nach rechts Offenen sowie denen, die tatsächlich noch mit solchen reden (und daher im  Grunde ebenfalls Nazis, Rechtsradikale, Rechte, nach rechts Offene oder auch – dieser Logik  folgend – gegenüber nach rechts Offenen Offene sind)‘ (vgl. hier ebenso beliebte wie einschlägige  Denkfiguren wie ‚Treppenwitz‘, ‚Dominoeffekt‘, ‚Sippenhaft‘, ‚Infektiosität‘ etc.). Gewalt – und nicht allein psychische – gegen Andersdenkende ist im woken Milieu mitunter  bekanntlich ja dann in Ordnung, wenn sie ‚die Richtigen trifft‘, umso mehr, wenn sie,  praktischerweise, von anderen Gleichgesinnten ausgeübt wird – moderne Arbeitsteilung eben. Und  so bequem. Da haben viele halt noch immer nicht verstanden, was z.B. ein Voltaire unter  Meinungsfreiheit im Kern verstanden hatte … ganz offenbar eine Frage des jeweils zugrunde liegenden Menschenbildes. 

Sollte der eine oder die andere unter den geschätzten Lesern wegen dieser Zusammensetzung nun – also bereits vor Sichtung – eine innerliche Empörung o.ä. (à la „Also des geeht ja gaa net!!“) verspüren, so bitte ich schlicht darum, bei Rezeption in erster Linie zunächst darauf zu achten, was gesagt wurde, nicht primär darauf, in wessen Beisein – den jeweils Sprechenden übrigens  eingeschlossen, denn: Auch ein sowohl intellektueller (Fakten-Ebene) als auch intuitiver  (Glaubwürdigkeits-Ebene, noch schwerer) Abgleich des durch die Medien vermittelten Bildes eines  Menschen mit dessen vitalen Selbstäußerungen stellt für mein Dafürhalten eine gar nicht mal so  abwegige Kulturtechnik dar. Gell. [Smiley] 

Das Argument: „Man darf solchen Leuten doch keine Bühne bereiten oder diese gar mit ihnen  teilen!“ verfängt m.E. mitnichten, denn um die Extremmöglichkeiten zu benennen:

Entweder jemand äußert fatalen Bullshit (der den massenmedial genährten Bildern möglicherweise gar entsprechen mag): Dann kann man ihm direkt mit anderen Standpunkten/Aspekten argumentativ  – und gerade nicht diskurslos bzw. (bloß) emotional und/oder moralisch abwertend – begegnen, um  bestimmten Rezipienten potenziell neue Einblicke zu ermöglichen, gerade auch dann, wenn man die  eigenen Argumente für überzeugend hält; zudem: Glauben nicht gerade tatsächlich demokratisch  orientierte Leute sowie (nicht System-) Linke (und hier wieder ausgenommen die autoritär  ausgerichteten) an die Menschen als Individuen, die sich ihr Urteil – bei eigener Wahl aus einem  möglichst breiten, möglichst zugänglichen Quellen- und Reflexionsspektrum – am besten  eigenständig bilden, ohne es durch betreutes (Vorweg-)Denken, Ausgrenzung, Abwertung und  Zensur vorzerkaut und vorverdaut serviert zu bekommen? Ja Mahlzeit. 

Oder jemand äußert sich, auch das soll schon vorgekommen sein, plötzlich ganz anders als zunächst  erwartet – und man macht evtl. die Lernerfahrung, dass die entsprechende Person gar nicht mal so  reaktionär, rassistisch, faschistisch etc. ist wie ‚gevorurteilt‘ = vorverurteilt; hier müsste man  allerdings die – gelegentlich auch schmerzhafte, da Veränderungsmöglichkeiten hinsichtlich der  eigenen Wahrnehmung zulassende – Offenheit mitbringen, gewohnte, mitunter gar liebgewonnene  und in der eigenen Community gehegte Feindbilder zumindest ein Stück weit loslassen zu können … um so wenigstens ein kleines bisschen dazu beizutragen, die gesamtgesellschaftlich krass verfahrene  und aufgehe(i/t)zte ‚Diskurs‘-Situation wieder mehr in Richtung Entschärfung zu beeinflussen, anstatt  sie unausgesetzt weiter zu verschärfen. 

Selbstredend gibt es zwischen diesen beiden ‚Polen‘ alle möglichen Mischformen; die genannten  Argumente treffen aber dennoch zu – nur dann halt in den entsprechenden Mischverhältnissen.  

Und natürlich werden der einen oder dem anderen bestimmte ‚Topics‘ bzw. auch Argumente  innerhalb der angesprochenen Themenbereiche fehlen; dies ist, gerade im Rahmen eines 7-köpfigen  Podiums, jedoch völlig normal – und nur ein weiterer Grund, warum derlei Settings, auch durch  Hinterfragung eigener bzw. zu eigen gemachter Kontakt- bzw. Diskursvermeidungen, immer stärker  aus der Tabuzone treten sollten. Dies, um die zutiefst undemokratischen Kontaktschuldnarrative und deren primäre Funktion, nämlich die Spaltung der Gesellschaft in Gutmenschen und Nazis, West und Ostdeutsche, Normalos und Diverse, Junge und Alte, Werktätige und Arbeitslose … name it!, schrittweise außer Kraft zu setzen bzw. zu überwinden. 

Verlieren wir die Fähigkeit zu möglichst unvoreingenommener Kommunikation, gerade mit  Andersdenkenden, wird die Gewalt gegen sie zwangsläufig zunehmen. Ist eigentlich ganz einfach. 

Jan Veil | 09.07.24